Die Verdachtskündigung – Wenn der Arbeitnehmer verdächtig ist

Kommt es nach einer Arbeitgeberkündigung zum Rechtsstreit über die Frage, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder nicht, und ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar (ja, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate besteht, § 1 Abs. 1 KSchG, und im Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG (Achtung: anders für bis zum 31.12.2003 eingestellte Arbeitnehmer)), ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet – jedenfalls im Rahmen der sog. abgestuften Beweislastverteilung –, dass seine Kündigung sozial gerechtfertigt i. S. d. § 1 Abs. 1, 2 KSchG ist – auf Deutsch: Er braucht einen Kündigungsgrund i. S. d. KSchG, den er beweisen muss. Die Kündigung muss nach § 1 Abs. 2 KSchG als betriebsbedingte, personenbedingte oder verhaltensbedingte sozial gerechtfertigt sein.


Nun gibt es Fälle, in denen der Arbeitgeber nicht imstande ist, einen Sachverhalt zu beweisen, der ihn an sich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer berechtigte. Auf Grund des Verdachts, der Arbeitnehmer habe sich strafbar gemacht oder ansonsten erheblich gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen, kann allerdings eine Situation eintreten, die es unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. In dieser misslichen Lage steht dem Arbeitgeber das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung zur Verfügung: Nicht erst eine erwiesene Verfehlung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer solchen kann zur ordentlichen und sogar zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen.


Dies mag manchem befremdlich erscheinen: Wie verhält es sich denn mit der sog. Unschuldsvermutung, wenn schon der Verdacht einer Verfehlung Rechtsfolgen auslösen können soll? Das arbeitsrechtliche Instrument der Verdachtskündigung ist mit der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK; Rechtsstaatprinzip, Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) indes kompatibel, weil diese nur das Strafverfahren prägt. Überhaupt sind ein Kündigungsrechtsstreit und ein parallel laufendes Ermittlungs- und Strafverfahren (größtenteils) unabhängig voneinander. Das ist schon deshalb richtig, weil der Verdacht, der den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt, nicht unbedingt in einem strafbaren Verhalten des Arbeitnehmers bestehen muss, sondern auch in einer sonstigen schweren Pflichtverletzung liegen kann. Dazu tritt, dass es dem Arbeitgeber in vielen Fällen nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten. Er kann hier wertvolle Zeit verlieren, wenn andere Mitarbeiter oder Geschäftspartner Konsequenzen ziehen, weil sie eine Zusammenarbeit mit dem verdächtigen Arbeitnehmer ablehnen. Auch im Übrigen ist der arbeitsrechtliche Maßstab ein anderer als der strafrechtliche: Das Arbeitsgericht gesteht dem Arbeitgeber gerade unterhalb der „Beweisgrenze“ eine Möglichkeit zu, sich von dem Arbeitsverhältnis zu lösen. Das den Strafprozess kennzeichnende Schlagwort in dubio pro reo besagt hingegen, dass ein Angeklagter nicht verurteilt werden darf, solange das Strafgericht Zweifel an seiner Schuld hat. Aus diesem Grund kann eine Verdachtskündigung rechtwirksam sein, obwohl es im Strafprozess gleichzeitig zu einem Freispruch des Angeklagten kommt.
Arbeitsrechtlich gilt Folgendes: Da der Arbeitnehmer in Folge einer Verdachtskündigung seinen Arbeitsplatz verlieren kann, ohne tatsächlich „überführt“ worden zu sein, hat diese Kündigung – jenseits strafrechtlicher Überlegungen – bestimmte Voraussetzungen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Sachverhalt, an dem er sich stört und dessen er den Mitarbeiter verdächtigt, umfassend aufzuklären. Zu dieser Aufklärungspflicht gehört es in aller Regel, den Arbeitnehmer zu dem verdächtigen Sachverhalt anzuhören. Dabei muss der Arbeitgeber alles, was für seine Meinungsbildung entscheidend ist, darlegen. Dies schließt auch die Verpflichtung ein, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, entlastende Umstände vorzutragen. Diese sind vom Arbeitgeber zu würdigen.


Eine Verdachtskündigung, die ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers erklärt wird, ist regelmäßig rechtsunwirksam. Das gilt nur ausnahmsweise dann nicht, wenn der Arbeitnehmer von vornherein deutlich gemacht hat, zu einer Aufklärung nichts beitragen zu wollen.
Nach einer umfassenden Aufklärung (bzw. dem Versuch derselben) darf der Arbeitgeber kündigen, wenn sich die Hinweise verdichten, dass der Arbeitnehmer einer schwere Pflichtverletzung begangen hat. Anders gewendet muss es sehr wahrscheinlich sein, dass der Verdacht zutrifft. Eine Verdachtskündigung ist mithin nicht zulässig, wenn nach der Aufklärung durch den Arbeitgeber ebenso ein anderer Kausalverlauf denkbar ist.


Verdachts- und Tatkündigung sind in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zwei eigenständige Kündigungsgründe. Für den rechtlichen Laien ist das nicht ganz einfach zu verstehen, weil ein dringender Verdacht dem erwiesenen Sachverhalt nur graduell nachfolgt, d. h. ein „Weniger“ an menschlicher Überzeugung von nöten ist, es letztlich aber um denselben Vorwurf geht. Prozessual  ist es für den Arbeitgeber unschädlich, wenn er eine Verdachtskündigung ausspricht und sich dann im Kündigungsschutzprozess herausstellt, dass der Arbeitnehmer die Straftat/schwere Verfehlung tatsächlich begangen hat. Umgekehrt ist es dem Arbeitgeber verwehrt, im arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit von der Tat – zur Verdachtskündigung zu „wechseln“. Zum einen ist hier die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt, weil der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen – jedenfalls vermeintlich – erwiesenen Sachverhalt und keinen Verdacht unterbreitet hat; zum anderen muss der Arbeitnehmer ja gerade – wie oben erwähnt – zu einem Verdacht angehört werden, bevor gekündigt werden kann.


Dogmatisch ist immer noch nicht ganz geklärt, ob die Verdachtskündigung eine verhaltensbedingte oder eine personenbedingte Kündigung oder gar eine Kündigung sui generis ist. Die überwiegende Meinung tendiert – soweit ersichtlich – dazu, von einer personenbedingten Kündigung auszugehen.


Wegen der besonderen Merkmale der Verdachtskündigung empfiehlt sich Sorgfalt. Wir klären Sie gerne in den Details auf.