Mit welcher Abfindung muss man sich abfinden?

Erstaunlich viele Mitarbeiter glauben, dass sie dann, wenn ihr Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt, „automatisch“ einen Anspruch auf eine Abfindung haben. Manche glauben gar, nach einer Eigenkündigung in den Genuss zu kommen.
Diese Wunschvorstellung ist arbeitsrechtlich grundsätzlich nicht vorgesehen. Das deutsche Arbeitsrecht ist kein Abfindungsrecht. Der gekündigte Arbeitnehmer hat gesetzlich nur ausnahmsweise einen Rechtsanspruch auf eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.


So bestimmt § 1a Abs. 1 KSchG Folgendes: Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse (…) und erhebt der Arbeitnehmer (…) keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung. Der Anspruch setzt den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann.
Gemäß § 1a Abs. 2 KschG beträgt die Abfindungshöhe 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.


Der zweite gesetzlich geregelte Fall einer Abfindung des Arbeitnehmers findet sich in § 9 KSchG (vgl. zur Höhe der Abfindung § 10 KSchG). § 9 Abs. 1 KSchG bestimmt, dass das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis gleichwohl aufzulösen hat, wenn dessen Fortsetzung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist (Satz 1) oder eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht zu erwarten ist (Satz 2). Der erste Fall setzt einen Antrag des Arbeitnehmers beim Gericht voraus, der zweite Fall hingegen einen Antrag des Arbeitgebers. In beiden genannten Fällen wird das Arbeitsverhältnis gegen die Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Nach einer außerordentlichen Kündigung kann der Auflösungsantrag nur vom Arbeitnehmer gestellt werden, § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG.


Das Gesetz geht außerdem in seinen §§ 112, 113 BetrVG davon aus, dass Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes im Sozialplan und beim Nachteilsausgleich vereinbart bzw. vom Arbeitnehmer eingefordert werden können.


Soviel zu den gesetzlich vorgesehenen Fällen. Der arbeitsrechtliche Alltag ist jedoch vor allem durch gerichtliche Abfindungsvergleiche – zumeist im Kündigungsschutzprozess – und Aufhebungsverträge, mit welchen die Parteien das Arbeitsverhältnis gegen eine Entschädigung beenden, gekennzeichnet. Das wirkt zunächst deshalb systemwidrig, weil sich der entlassene Arbeitnehmer (beim Aufhebungsvertrag eventuell der Arbeitnehmer, der zu entlassen werden droht) gegen die Kündigung verteidigt – und verteidigen muss. Nach ausgesprochener Arbeitgeberkündigung zwingen die §§ 4, 7 KSchG den Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage zu erheben; andernfalls wird gesetzlich fingiert, dass die Kündigung von Anfang an rechtswirksam ist. Der Kündigungsschutzantrag ist gesetzlich zwingend auf die Feststellung zu richten, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, § 4 Satz 1 KSchG. Der Arbeitnehmer muss demnach – formal- und materiellrechtlich – das Ziel verfolgen, sein Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten; eine Beendigung gegen Geld ist der Kündigungsschutzklage als rechtliches Ziel fremd. Ergo: Wer notgedrungen Kündigungsschutzklage erhebt, kann im Rechtssinn nicht mit einer Abfindung rechnen. Dass nun die ganz überwiegende Anzahl von Kündigungsrechtsstreitigkeiten mit einem Abfindungsvergleich endet, ist jedoch dem „Umdenken“ des Arbeitnehmers – und auch des Arbeitgebers – im laufenden Prozess geschuldet. Zumeist nehmen gekündigte Mitarbeiter mit der Zeit davon Abstand, auf ihren Arbeitsplatz zu beharren.  Einen großen Teil seiner Zeit an einem Ort zu verbringen, an dem man nicht mehr erwünscht ist, liefert das eine Argument; ein womöglich neues Jobangebot das Zweite. Den beklagten Arbeitgeber, der im Kündigungsschutzprozess überwiegend beweisbelastet ist (jedenfalls im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast), trifft das Risiko dem obsiegenden Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn leisten zu müssen, vgl. § 615 Satz 1 BGB. Dies kann – womöglich nach einem Unterliegen in der Rechtsmittelinstanz – durchaus teuer werden. Deswegen entwickeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig ein gemeinsames Interesse: Eine rasche Trennung gegen Geld. Dass die Höhe der Abfindung die Parteien wiederum streiten lässt, versteht sich grundsätzlich von selbst.


Wo es keine Abfindung als gesetzliche Rechtsfolge gibt, können auch keine Argumente pro und contra daraufhin gewechselt werden. Die Diskussion um die Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes ist also pseudorational. (Klassisch ist etwa in Abfindungsverhandlungen der Verweis des Arbeitnehmers auf eine überdurchschnittliche Arbeitsleistung, seine Treue zum Arbeitgeber u. ä.; der Arbeitgeber bemüht sich regelmäßig um gegenteilige Positionen, etwa die Nichtakzeptanz des Mitarbeiters bei Kunden oder Kollegen.)


Gleichwohl lohnt es sich, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen. „Abgekauft“ werden immerhin Prozessrisiken.
Was nun die Höhe der Abfindung betrifft, existiert die viel zitierte Richtschnur der Arbeitsgerichte. Diese schlagen den Parteien häufig vor, das Arbeitsverhältnis gegen eine Entschädigung in Höhe von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit aufzulösen. Dass Prozessrisiken einzelfallbezogen, wirtschaftliche Interessen unterschiedlich und starre Regelungen nicht passend sind, liegt auf der Hand. Ein Vergleich ist ein Vertrag, der zwischen den Beteiligten – nahezu frei – verhandelbar ist. Hier gilt es also, sich bei der pseudorationalen Argumentation gut zu positionieren. Dass die Gerichte häufig eine Einhalbregelung (hier gibt es Ausnahmen, z. B. in Nürnberg, wo es für den Arbeitgeber „günstiger“ ist oder in manchen Großstädten bei manchen Richtern, wo es für den Arbeitgeber tendenziell teurer als ein halb werden kann) vorschlagen, eröffnet aber einen ersten Einstieg in Verhandlungen und besitzt daher eine Daseinsberechtigung.
In Abfindungsvergleichen werden i. d. R. weitere Regelungen getroffen. So können Urlaubsabgeltungsansprüche oder der Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers tituliert werden. Ein wichtiger Bestandteil arbeitsgerichtlicher Vergleiche (aber auch von Aufhebungsverträgen) sind Abgeltungsklauseln. Ihr Charme besteht darin, das Rechtsverhältnis abschließend zu regeln; sie sind allerdings hochgefährlich, wenn eine Seite ihre noch bestehenden Ansprüche übersieht. Wer sich also auf eine Abfindung und Abgeltungsklausel festlegt, sollte gut überlegt haben, ob er sich mit „dieser Abfindung abfinden“ kann.


Zu der praktisch wichtigen Frage, wann Aufhebungsverträge eine Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld nach sich ziehen, werden wir gesondert Stellung nehmen.


Zu allen Fragen zu gerichtlichen Vergleichen und Aufhebungsverträgen, die eine Abfindung zum Gegenstand haben, beraten wir Sie selbstverständlich gerne.